Es ist eine lange Geschichte von der Bilderschrift zur Buchstabenschrift, von den Bleilettern zu den Fonts für PC. Mit Bleilettern habe ich 1961 begonnen, in den letzten beiden Jahren habe ich viele Schriften, die ich für Kunden gezeichnet habe und neue Ideen digitalisiert zu meinen Fonts für PC. Auch ein Schriftmusterbuch dazu gibt es PDF (4.5MB).
Typographie im allgemeinen und die Fonts sind etwas lebendiges, immer dem Zeitgeist angepasst und den jeweiligen Darstellungsmöglichkeiten oder Beschreibstoffen. Über die Jahrtausende folgte eine Neuerung, Weiterentwicklung der anderen: Kerbholz und Knoten waren ganz am Anfang dazu da, sich etwas zu merken. Bilder- und Ideenschriften existierten bereits um 10.000 v. Chr., etwa in den Höhlen von Lascaux in Frankreich oder Altamira in Spanien. Nach den Höhlenwänden wurde von dem Sumerern weiche Tontafeln als Schreibmaterial benutz, es entstanden die charakteristischen keilförmigen Zeichen. Aber noch immer bleibt eine Silbe die kleinste Einheit.
Auch die Hieroglyphen der Ägypter sind Wortbilder, erst die semitische Konsonatenschrift um 1200 v. Chr. war ein völlig neues System, das noch keine Vokale kannte oder brauchte. Von den Phöniziern übernahmen die Griechen diese neue Art des Schreibens und fügten die Vokale hinzu.
Von den Griechen übernahmen die Römer nicht nur die Kultur, sondern auch die Art des Schreibens, zunächst noch in einfachen Grundformen. Durch die Wiedergabe der Schriftzeichen auf Stein mit dem Meißel erhielten die Buchstaben die sogenannten Füße oder Serifen. Zum flüssigen Schreiben benutzten die Römer Wachstafeln und Rohrfedern und es entstand die Kapitalis quadrata ab dem 2. Jh. n.Chr. Mit dem Christentum entstand die Unziale mit schwungvollen Rundungen und den ersten Ansätzen zu Ober- und Unterlängen.
Nach dem Untergang des römischen Reiches entwickelten die selbständigen Völker eigene Nationalschriften: Irisch, Merowingisch, Gotisch und die bis zum 8. Jhd. bekannten Runen. Karl der Große war einer der größten Förderer der Schrift und löste die verschieden fränkischen Stammesschriften durch eine neue, einheitliche ab: die karolingische Minuskel, die Ausgangsschrift für Fraktur und Antiqua.
Dann kam Gutenberg, es entwickelte sich eine neue Epoche: die Druckschriften. Einzelbuchstaben wurden in Blei gegossen und konnten so zusammengesetzt werden zu Texten. Und das war, wie man heute sagt, ein nachhaltiges System, denn nach dem Druck wurden die Einzelbuchstaben (Lettern) zurückgelegt in den Setzkasten. Der Setzkasten war ein flacher Holzrahmen mit 125 Fächern für jeden einzelnen Buchstaben und für die Wortzwischenräume. Eine geradezu geniale Erfindung. Die einzelnen Lettern wurden per Hand im sogenannten Winkelhaken aneiandergefügt, Zeile für zeile mit Hilfe von Spatien auf die gleiche Breite gebracht, auf das Schiff gesetzt und mit einer Kolumnenschnur fest umbunden. War der Satz gedruckt, wurden die Buchstaben wieder fein säuberlich zurückgelegt in den Setzkasten.
Von der Normandie über Frankreich entwickelte sich im 14. Jh. ein neuer Stil: die Gotik. Dem Baustil entsprechend war auch der Schriftstil: hochaufragend und kantig, also gebrochene Schriften. Gutenberg schnitt seine Typen auch in dieser Schrift. Rund hundert Jahre später entwickelte sich daraus die Schwabacher, besser lesbar mit offenen Formen. Mit dem Barock änderte sich auch wieder die Schrift, wurde offener, verspielter, schmucker. Den Höhepunkt der Gebrochenen Schriften gipfelte in der Kanzlei, einer sehr verschnörkelten und etwas schwer lesbaren Schrift.
Parallel zu den gebrochenen Schriften entwickelten sich im romanischen Sprachraum Alternativen. Dort entstand im 14. Jh. die Rotunda, eine offene Schrift von guter Lesbarkeit, aus der sich die Antiqua-Schriften entwickelten. Diese passten sich der jeweiligen Stilepoche an, waren, wie wir heute sagen würden „in Mode” – von der Renaissance über Barock bis Klassizismus.
Schriftschöpfer wie Garamond, Baskerville, Didot sind Zeitzeugen ihrer jeweiligen Epoche mit ihren Schriften, die bis heute viel benutzt werden. Anfang des 19. Jh. machte sich durch die Entwicklung in Wirtschaft und Technik ein schlichtes, nüchternes Denken breit. dem angepasst, entstanden damals in England zwei ganz neue Schriftarten, die Egyptienne und die Grotesk. Bei der Egyptienne waren An- und Abstriche optisch gleich stark, bei der Grotesk fehlten die Serifen komplett.
Im 20. Jh. suchte man nach einer Weiterentwicklung, einem neuen Stil. Es entstanden die kräftigen Schriften des Jugendstils mit vielen guten Schnitten aber auch typografischen Entgleisungen.
Mit Beginn des 20. Jh schaffte der bis heute wichtigste Schrifttyp, die serifenlose Grotesk ihren Durchbruch. Mit dem Aufkommen der Werbung wurden neue Schrifttypen gebraucht. Viele den „Neuen” lassen sich gar nicht mehr genau klassifizieren und einordnen. Eine große Gruppe bilden die Schreibschriften, von klassisch bis kalligrafisch, von kunstvoll bis derb. Der Einfluss von Fluxus, Pop Art, Hippie-Jugendsubkultur dokumentiert sich insbesondere in den Schriften der 1960er bis 1980er Jahre. Es wurden Schriften entwickelt speziell für Headlines, Plakate und die Außenwerbung.
Ein weiterer Meilenstein war der Fotosatz, der die starren Bleilettern ablöste und typografisch neue Freiheiten schuf. Eine ganz neue Erfindung der Zeit waren Abreibebuchstaben (Letraset). Doch die fundamentalste Veränderung nach Gutenberg erfuhren die Genres Satz und Typografie durch die sogenannte DTP-Revolution der 1980er und 1990er Jahre. Sämtliche Produktionsweisen innerhalb der Medienproduktion wurden umgekrempelt und auch im Bereich Typografie die technischen Grundlagen geschaffen, welche bis heute Gültigkeit haben. Der Grafik-Designer konnte nun an seinem Bildschirm dank guter Ideen und diverser Grafik-Programme eine Arbeit (Gestaltung, Satz, Dokumentaufbau, Bildbearbeitung) komplett erstellen und die druckfertigen Daten via Internet in die Druckerei senden.
Typografie und Zeichnen als Basis für mein (Berufs)Leben
Schrift war für mich schon immer etwas großartiges. Ich bewunderte meinen Vater, wenn er kunstvolle Urkunden für alle möglichen Anlässe schrieb. Seine Sammlung an Schreibfedern faszinierte mich und viele besitze ich immer noch. Als ich in die Schule kam, wurde Schönschreiben noch benotet. In meinem Zeugnis stand „sehr gut”. Im Gymnasium war der Kunstunterricht mein Lieblingsfach um immer eine 1 wert. Als ein Freund mir dann erzählte, er sei in Freiburg auf der „Grafikerschule” und mir ein paar Arbeiten zeigte, stand mein Berufswunsch fest: Grafiker. Was hinter diesen Buchstaben steckte, wußte ich zu der Zeit noch gar nicht so richtig. Die Aufnahmeprüfung war ein Klacks, aber die große Überraschung für mich kam dann am ersten Schultag. Unser Lehrer, Herr Pavellek, fragte die Klasse von rund 30 Schülern, welche berufe sie mal machen wollen. Schriftsetzer? Etwa 20 hoben die Hand. Drucker oder Buchbinder? Fast der ganze Rest. Nur drei blieben übrig und er fragte nach unserem Berufsziel. Grafiker. Dann legte er 5 Minuten los. Was bei mir hängen blieb waren Worte wie: brotlose Kunst, Spinner, das ist doch kein Beruf, macht erst mal eine Lehre …
Und genau das machte ich dann auch, als Schriftsetzer bei Herder. Herr Pavellek arbeitete zuvor bei Herder und nach etwa einem halben Jahr meldete er die Besten der Klasse an Herder. Von dort kam dann die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch und ein paar Tage später der Lehrvertrag. Im Nachhinein war ich bestens beraten mit dieser Lehre, vor allem Dank Herder. Die Ausbildung war optimal mit eigener Lehrlingsabteilung und zwei Meistern. Die Lehrlinge durften alle Abteilungen des Hauses durchwandern und so kennenlernen: Handsatz, Maschinensatz, Fotosatz (damals ganz neu in der Erprobung), Druckerei, Buchbinderei, Reprographie. Über allem thronte der große, weltbekannte Verlag, in dem es auch 3 Grafiker gab. Und wir hatten jede Woche Hausunterricht durch die verschiedenen „Chefs”.
Einer meiner Lieblingslehrer war Alfred Riedel, ein Buchgestalter und Schriftkünstler. Er hatte für Herder schon zwei Hausschriften gestaltet: die Domino und die Adamas. Ich war begeistert von seinen Arbeiten und seinem Wissen über Schrift und Typographie. Hier der Künstler, der mit Tusche und Farben arbeitet und auf der anderen Seite die Schriftsetzer, die die Ideen mit Fingerfertigkeit und Bleilettern umsetzten. Zum ersten Mal erfuhr ich, dass eine Schrift optisch nicht nur wirkt durch das gedruckte Schriftbild, sondern dass der Leerraum eines Buchstabens, das Fleisch und die Punzen, wesentlichen Einfluss auf die Optik und Lesbarkeit haben. Das Ausgleichen von Versalien z. B. war bei Bleilettern eine wahre Kunst. Der Abstand zwischen einzelnen Lettern wurde durch eine Einlage aus Metallstreifen, Pappe oder Papier zwischen den Kegeln vergrößert (Spationierung). Eine Verringerung des Abstands (Unterschneidung) war kompliziert und nur durch das Entfernen von Material an den Kegelseiten möglich. Aber bei dieser Arbeit bekommt man ein Fingerspitzengfühl (im wahrsten Sinne des Wortes) für eine ausgeglichene Typografie.
Aus der Lehrzeit stammt auch noch eine Arbeit, auf die ich heute noch stolz bin. Aufgabe war es, für das Berichtsheft, über die Entwicklung der Schrift zu schreiben. Bei mir wurde daraus fast ein Buch, so begeisterte mich das Thema. 13 Seiten Text, alles fein säuberlich von Hand geschrieben, und 53 Seiten Bildmaterial im Format A4 füllten einen 50er Leitzordner und brachten mir wieder mal ein „sehr gut” und ein Lob im Zeugnis ein. Den Ordner habe ich mit nach Thailand genommen und ich werde den Inhalt demnächst digitalisieren.
Das war eine lange Einleitung zum eigentlichen Thema vom Buchstaben zum Font – hier noch eine separate Bildergalerie mit allen Infos dazu. Was Buchstaben sind, dürfte jetzt klar sein. Aber was ist ein Font. Einfach gesagt sind das spezielle Schriftformate, die sich auf Desktop-Computern nutzen lassen. Man bedient die Tastatur und auf dem Bildschirm erscheint die Schrift, die auch auf angeschlossenen Belichtungsgeräten oder Printern ausgegeben werden können. Einige Schriften (Fonts) sind im Betriebssystem bereits integriert, andere kann man dazu kaufen und dann installieren. Ich habe in meinem Fundus weit mehr als 1000 Schriften, weil ich der Meinung bin, dass es für jeden Kunden, für jede Arbeit nur eine Schrift gibt, die optimal ist, die genau passt. William Addison Dwiggins, der große amerikanischer Schriftentwerfer, Kalligraphen und Buchdesigner zeigt dieses Dilemma sehr schön in seiner Karikatur. Welche Schriftart soll ich verwenden? Die Götter weigern sich zu antworten. Sie lehnen ab, weil sie es nicht wissen.
Meine erste Schrift, die ich Anfang der 90er Jahre entwarf und zeichnete, war eine englaufende Schreibschrift für die Winzergenossenschaft Affental. Alle Etiketten und die Headlines der Printmedien waren in dieser Schreibschrift gesetzt. Damals musste ich noch Buchstaben um Buchstaben vom Original reproduzieren und von Hand nebeneinander kleben. Bei einem Seminar von Günter Gerhard Lange habe ich ihm die Schrift gezeigt. GGL, so sein Kürzel, gilt als einer der weltweit bedeutendsten Typografen, Förderer der Schriftqualität und Schriftgestalter des 20. Jahrhunderts, der insbesondere die Schriftgestaltung nach 1945 prägte. Er schaute sie interessiert an und nickte wohlwollend.
Die zweite Schrift habe ich entworfen, weil ich für die vielen Etiketten, die ich damals gestaltete, eine spezielle eng laufende Antiqua suchte, die gut zu den so beliebten Schreibschriften passte. Auch das war damals alles noch Hand-, Kopier- und Klebearbeit.
Erst nach dem aktiven Berufsleben, sozusagen als Rentner, habe ich die Zeit gefunden, mich wieder mit dem Thema Schriftgestaltung zu befassen. Die erste Schrift, die ich mit einem extra gekauften Font-Programm erstellt habe, war diese Etiketten-Schrift. Ich nannte sie eSpania, weil ich bei einem Urlaub in Spanien an einem Haus Bilder und Schriften sah, die mich inspirierten. FontLab ist ein sehr professionelles Programm und entsprechen vielseitig. Leider gibt es alles nur in englisch und nicht alle Fachbegriffe waren mir auf Anhieb geläufig. Aber im Internet gibt es auch hierfür schöne Tutorials und learning by doing ist ein Prinzip, das mich das ganze Berufsleben begleitet hat. Alle Fonts sind in dem von Apple und Microsoft entwickelten TrueType-Format (TTF), welches unter Windows und in Home-Office-Umgebungen bis heute vorherrschend ist, weil die Fonts frei skalierbar sind und im Gegensatz zu den PostScript-Fonts nur eine Datei benötigen.
Doch es ist ein langer und zeitintensiver Weg von der Idee, ersten Skizzen, Verbesserungen, Reinzeichnung, Scan, Anlegen der Vektordaten, Übertragen der einzelnen Buchstaben in das Font-Programm, Kerning und ganz zum Schluss drücke ich die Tasten Apfel-Shift-G und generiere einen Font. Ein blauer Balken läuft von rechts nach link – dann der spannende Moment, ob Fehlermeldungen kommen. Wenn ja heißt es nachbessern, wenn nein kann ich erste Tests machen, um zu sehen, ob alles rund läuft. Um einen Font fertigzustellen, wenn die Entwürfe mir zusagen, dauert es zwischen 3 und 10 Tagen. Das ist sehr stark abhängig von der Vektorisierung (komplizirte Schreibschrift oder einfachere, serifenlose Schrift) und vom Kerning (dem Ausgleichen der möglichen Buchstabenverbindungen).
Noch ein paar Anmerkungen zum Fontprogramm. Wenn alle Buchstaben, Ziffern, Interpunktionen, Sonderzeichen, Akzente und Ligaturen in Illustrator vektorisiert sind, muss ich Letter für Letter in FontLap kopieren. Dazu wird erst die Größe berechnet, zur Schriftlinie die oberen und unteren Begrenzungslinien gezogen und eine Mittellinie bei den Kleinbuchstaben. Das dient alles zur späteren metrischen Berechnung der Buchstabenabstände.
Die sind nämlich sehr verschieden einzugeben, z. B. braucht das A in vielen Schriften wegen der schrägen An- und Abstriche weniger Abstand als ein I oder H mit Senkrechten links und rechts. Bei D, B, P kann ich links die Werte wie bei I und H einsetzen, rechts ist die Rundund zu beachten. Da ist der Abstand dann eher wie beim O. Problembuchstaben sind auch immer T und L, vor allem in Kombination mit A, V, W oder Y. Für all diese Kombinationsmöglichkeiten kann ich später beim Kerning, wie früher beim Handsatz spationieren oder Unterschneiden. Dazu habe ich mir extra Tabellen angelegt mit über 1800 Kombinationsmöglichkeiten!
Wenn alle Buchstaben in das Fontprogramm kopiert sind, mache ich einen ersten Test. Das Programm bietet die Möglichkeit, einen Text einzugeben, der in jeder gewünschte Größe angezeigt wird. Auch dafür habe ich mir einen Text erarbeitet, der alle der rund 200 Zeichen einer Schrift enthält. Ein erster Blick und man kann gleich sehen, ob ein Buchstabe fehlt, ein Akzent falsch sitzt oder eine Ligatur nicht zum Gesamtbild passt.
In den letzten Jahren habe ich 42 Schriften gestaltet. Insgesamt sind es152 Schnitte, d. h. bei manchen Schriften gibt es verschiedene Versionen wie Thin, Light, Regular, Medium, Bold, Black, Ultra und alles in Kursiv. Alle Schriften brauchen natürlich auch einen Namen. Bei mir beginnen alle mit einem kleinen e, von eApart bis eVille. Weitere werden folgen, denn ich habe noch einiges vorbereitet und später sicher auch weitere Ideen.
Eine Schrift heißt übrigens eSukjai und es ist meine erste Schrift für Thailändisch, die auch die passenden lateinischen Buchstaben hat, bis jetzt in den Schnitten Light und Bold. Bei thailändischen Schriften gibt es eine besonder Schwierigkeit mit Vokalen und Betonungszeichen, die über oder unter dem Konsonanten liegen. Ich habe ein kleines Schriftmusterbuch dazu gemacht, das es hier zu sehen gibt. Und für alle, die bis zum Schluss durchgehalten haben, eine kleine Belohnung: Wenn euch eine Schrift gut gefällt und ihr wollt sie gerne für euch nutzen, einfach eine Mail schicken und der oder die Fonts kommen.